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VU Theorien der Biopolitik

Sexualität – Klasse – Geschlecht

Regulierung von Sexualität ab den Nachkriegsjahrzehnten

Alexandra Weiss


In der Lehrveranstaltung werden einerseits Theorien der Biopolitik vorstellt und erarbeitet. Daran anschließend erfolgt eine Vertiefung/Spezialisierung in Hinblick auf die Regulierung von Sexualität. Von besonderem Interesse sind dabei geschlechts- und klassenspezifische Differenzen.

Eingegangen wird dabei auf „Sittlichkeitsdiskurse“, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg. Gerade die 1950er Jahre stehen für eine „Normalisierung“ von Gesellschaft und Geschlechterverhältnissen, für die Durchsetzung und (Re-)Etablierung traditioneller geschlechtlicher Hierarchien und der bürgerlichen Kernfamilie als allgemeines Lebensmodell. Die Abwehr abweichender Beziehungs- und Sexualitätsmodelle zeigt sich nicht zuletzt in den Pornographiegesetzen (Österreich 1950, Deutschland 1953), aber auch in den Eheratgebern der Zeit, die kulturelle Leitideen zu Sexualität vermitteln.

Die 1950er Jahre sind aber auch die Zeit, in der sich mit der Ausgestaltung des Wohlfahrtsstaates, seiner expansiven Entwicklung und einer prosperierenden Wirtschaft ab der Mitte des Jahrzehnts die Klassenverhältnisse verändern. Gewerkschaften und Arbeiterpartei ging es nicht mehr um die Überwindung, sondern allenfalls um die Humanisierung der kapitalistischen Produktion. Mit dem „keynesianschen Projekt“ standen die (nun beschränkten) Interessen der ArbeiterInnenschaft scheinbar nicht mehr im Gegensatz zur nationalen Wirtschaftsentwicklung und den Interessen der Unternehmen. Der Staat wurde mehr und mehr ein „Staat des gesamten Volkes“ (Buci-Glucksmann/Therborn 1982) im Sinne einer Inklusion der ArbeiterInnenschaft, die nicht mehr per se als staats- und ordnungsfeindlich wahrgenommen wurde wie noch in der Ersten Republik. Wesentliche geschlechterpolitische Konsequenz dieser Entwicklung war die Verallgemeinerung eines bürgerlichen Familienmodells, eine „Hausfrauisierung“ der Arbeiterin.

Verschwiegene Unterseite dieser Entwicklung war die in zeitgenössischen Quellen vielfach verteufelte weibliche Erwerbstätigkeit. Sie galt nicht nur als Quelle sittlicher Gefährdung, sie wurde auch für die viel diskutierte Jugendverwahrlosung verantwortlich gemacht. Sexualität und Sexualverhalten von Frauen wurden in diesem Kontext als wesentlich für Stabilität und Ordnung in den Geschlechterverhältnissen als auch in der Gesellschaft betrachtet. Die zeitgenössischen klinischen und psychiatrischen Institutionen agierten in dieser Zeit auch im Sinne einer medizinischen bzw. medikamentösen Regulierung von Sexualität (Bsp. Kinderbeobachtungsstation von Maria Nowak-Vogl 1954-1987, Innsbruck). Im Zentrum der Aufmerksamkeit standen meist die Mädchen und junge Frauen (wenn auch nicht nur), insbesondere der unteren, als „gefährlich“ geltenden Klassen, deren sexuelles Verhalten z.T. mit Medikamenten und/ oder diversen Praktiken der Disziplinierung des Körpers zu kontrollieren versucht wurde.

Psychiatrisierung und Medikalisierung norm-abweichender Sexualität sind gleichsam die andere Seite derselben Medaille, denn hegemoniale Vorstellungen von Sexualität, Geschlechterverhältnissen, Männlichkeit und Weiblichkeit werden sowohl über Konsens als auch über Zwang durchgesetzt. Von jenen Gruppen, die den Normen nicht entsprechen oder die sie überschreiten, sind es vor allem die gesellschaftlich Marginalisierten, die in die Fänge der als total beschriebenen Institutionen (Goffman 1972) geraten und die Zwangsmaßnahmen zu spüren bekommen, die letztlich für alle disziplinierend wirken. Diese Institutionen und die Disziplinierung, die sie ausüben, reichten bis in die jüngste Vergangenheit. Dies, obwohl mit Ende der 1960er Jahre und mehr noch mit den 1970ern eine Liberalisierung eintrat – nicht zuletzt durch die sozialen Bewegungen. Im Genre der Ratgeber für Ehe, Beziehung und Sexualität wechselte die AutorInnenschaft von christlichen Geistlichen oder Laien hin zu PsychologInnen, MedizinerInnen etc. Wissenschaftliche Expertise verdrängten Religion und Kirche in zentralen Lebensfragen.

Es brach einer Phase sexueller Liberalisierung an, aber auch der Problematisierung des Konnexes von Macht und Sexualität im Geschlechterverhältnis und der Diskriminierung von nicht-heterosexuellen Identitäten und Lebensformen.

Heute zeigt sich ein widersprüchliches Bild von Geschlechterverhältnissen, Sexualität, Beziehungsmodellen. Einerseits scheint vieles gleichberechtigter, freier, vielfältiger geworden zu sein, gleichzeitig wird eine fortschreitende Kommerzialisierung und Banalisierung von Sexualität diagnostiziert (Sigusch 2005). Andererseits stellen wir eine „Wiederkehr des Religiösen“ fest, die sexuelle Selbstbestimmung v.a. von Frauen wieder beschneiden möchte (Herzog 2008). Warum aber erstarken nach einer Phase der zunehmenden Gleichberechtigung der Geschlechter und sexueller Liberalisierung alte, undemokratische und zum Teil vormoderne „Werte“? Und das überall auf der Welt. Wenn bis in die 1970er Jahre ein Interesse an der Verallgemeinerung des bürgerlichen Lebensmodells hatte, welches Modell von Liebe, Sexualität und Beziehung ist mit einem neoliberalen, postfordistischen Kapitalismus kompatibel? Wie und in welcher Form werden traditionelle Vorstellungen von Familien, Sexualität und Partnerschaft aktualisiert? Diese und weitere Fragen werden in der Lehrveranstaltung diskutiert.


Ziel:

Die Studierenden erhalten einen Überblick über Theorien der Biopolitik. Daran anschließend erfolgt eine Vertiefung in Hinblick auf die Regulierung von Sexualität. Von besonderem Interesse sind dabei Spezifika in Hinblick auf Klasse und Geschlecht.


Lehrinhalte:

Theorien der Biopolitik, Instrumente der Regulierung der Sexualität, Familien- und Geschlechterordnungen in unterschiedlichen Formationen kapitalistischer Entwicklung.


Prüfungsmodus:

Gruppenarbeiten, Präsentation, schriftliche Arbeit


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